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Wahrnehmungspositionen

Unter „Wahrnehmungsposition“ versteht man die bewusst oder unbewusst eingenommene Perspektive, aus der eine Situation erlebt wird: vom eigenen Standpunkt (erste Position), vom Standpunkt einer anderen Person (zweite Position) oder von anderen Standpunkten (3. Position) aus. Im NLP gibt es verschiedene Modelle von Wahrnehmungspositionen, die unterschiedlich interpretiert werden.

  1. Die erste Position ist das Erleben aus der eigenen Perspektive, mit eigenen Beliefs und Vorannahmen. Man sieht hier die äußere Welt durch die eigenen Augen. In der ersten Position ist man mit dem eigenen Standpunkt assoziiert, und in vielen Fällen auch mit den Gefühlen. (Manche Menschen können allerdings schwer mit ihren Gefühlen in Kontakt treten). Die Wahrnehmung ist direkt, unmittelbar und unvermittelt: ich sehe mit meinen Augen, höre mit meinen Ohren und fühle meine Gefühle in dieser Situation. Es ist das ungefilterte, eigene Erleben aus der eigenen Innenposition, der eigene Standpunkt, mit der Interpretation, die ganz meine ist.
  1. Die zweite Position ist die Wahrnehmung einer Situation aus der Perspektive einer anderen Person. Ich schlüpfe „in die Schuhe“ einer anderen Person und erlebe die Welt aus der Warte dieser Person: ich sehe mit den Augen dieser Person, höre mit ihren Ohren und fühle aus der Perspektive des anderen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, die Situation als diese Person zu erleben und was ich dabei wahrnehmen könnte. Die Fähigkeit zur zweiten Position ist eine natürliche Fähigkeit. Als Beispiel können klischeehaft Eltern, die „instinktiv“ die Bedürfnisse eines kleinen Kindes „erraten“, genannt werden. In der zweiten Position imaginieren sich Menschen die Innenperspektive anderer Menschen. Sie sind von ihrem eigenen Erlebnis dissoziiert und mit dieser Person assoziiert. Sie tun so, als ob sie eine andere Person wären.
  1. Die dritte Position unterscheidet eine einfache und eine differenzierte Variante.
  • Die einfache Variante definiert die dritte Position als den Standpunkt eines außenstehenden, unbeteiligten Beobachters. Die dritte Position entspricht der Wahrnehmung einer außenstehenden Person, die von außen, ohne große Gefühle, die Situation betrachtet. Klischeehaft kann hier als Beispiel ein „objektiver Wissenschaftler“, der von außen ein System analysiert, dem er sich nicht zugehörig fühlt und von dem er glaubt, dass er nicht ein Teil davon ist, angeführt werden. Die dritte Position ist eine Meta-Position zu den beiden anderen Positionen. In dieser Distanz zur ersten und zur zweiten Position können die Interaktionen zwischen der ersten und der zweiten Person erkundet und kalibrierte Schleifen in Erfahrung gebracht werden.
  • Die differenzierte Variante definiert die dritte Position auf andere Weise und unterscheidet zudem nach Meta-Position (in anderer Definition als oben) und Beobachter-Position. Die dritte Position ist hier eine assoziierte Position außerhalb der Beziehung zwischen der ersten Person (erste Position) und einer anderen Person (zweite Position), wobei man mit den Gefühlen und Annahmen der ersten und der zweiten Position in Kontakt ist. Man nimmt die Beziehung zwischen sich und der anderen Person wahr sowie die Beliefs und die Gefühle beider Personen. Es geht hier auch um die Wahrnehmung der emotionalen Relation zwischen den beiden Personen. Die dritte Position wird hier (im Gegensatz zur einfachen Variante) nicht als völlig dissoziierte Position beschrieben, da ein Kontakt mit Gefühlen stattfindet. Die Beobachterposition in dieser Variante ist weitgehend mit der dritten Position aus der einfachen Variante ident. Sie ist als assoziierte Position definiert, bei der man von den Glaubenssätzen und Vorannahmen der ersten und zweiten Position abstrahiert. Die Meta-Position wird hier als dritte Position definiert, bei der eine Person mit den Glaubenssätzen und Vorannahmen von einer der beiden Personen assoziiert ist.
  1. Diese Modelle können durch Schaffung beliebiger zusätzlicher Positionen erweitert werden. Robert Dilts (1993 (1990), 200 ff.) hat den Meta-Spiegel als vierte Position und als Meta-Position zu drei anderen Positionen definiert. Der Meta-Spiegel dient der Erkundung des Beziehungsmusters zwischen dritter und erster Position: die Art, wie die dritte Person mit der ersten Person umgeht. Ardui und Wrycza definieren als vierte Position eine assoziierte Position zwischen der ersten und der zweiten Position, bei der es möglich ist, sich mit einer Organisation, einem System oder einer Beziehung als Ganzes zu identifizieren.

 

Im Folgenden einige Gedanken zur einfachen Variante (welche für die differenzierte oder eine erweiterte Variante nur bedingt Geltung haben):

Das (einfache) Modell der Wahrnehmungspositionen kann als Modell erfolgreicher Kommunikation verstanden werden. Erfolgreiche Menschen beherrschen die Fähigkeit, alle drei Positionen einnehmen zu können. Sie können Kommunikationssituationen aus drei verschiedenen Perspektiven erfahren. Dabei geht es um eine ausgewogene Balance zwischen allen drei Positionen. Sie können als dreifache Polaritäten definiert werden. Menschen unterscheiden sich auch danach, in welchen Kontexten sie – gleichsam automatisch – eine der drei Positionen vorrangig einnehmen.

 

Im NLP wird der Wert jeder Position betont. In jeder Position gibt es etwas zu erfahren, was den beiden anderen Positionen verborgen ist.

a) Der Wert der ersten Position ist die Fähigkeit, ganz assoziiert sein zu können und auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.

b) Der Wert der zweiten Position ist die soziale Fähigkeit, den Standpunkt und die Bedürfnisse anderer zu erkennen, zu respektieren und für andere da zu sein.

c) Der Wert der dritten Position ist die Fähigkeit, dissoziiert sein zu können, sich aus dem emotionalen Sog von Situationen befreien zu können. In der dritten Position sind Menschen fähig, Kommunikationsstrukturen zu erkennen und zu analysieren, Muster zu entdecken sowie Strategien und Meta-Programme in Erfahrung zu bringen.

Jede Wahrnehmungsposition ist ein Gewinn und jede Position kann ein Hindernis sein. Kommunikationskonflikte sind manchmal durch ein Missverhältnis der drei Positionen gekennzeichnet.

a) Wird die erste Position zu sehr betont, können Menschen zu starke Selbstsortierer sein, unfähig zur Wahrnehmung der Welten anderer oder unfähig, sich selbst von den eigenen Gefühlen zu distanzieren und sich selbst aus einer Außenposition Feedback zu geben.

b) Menschen, die zu sehr in der zweiten Position leben, leben nicht ihr Leben, sondern das anderer Menschen. Dies kann mit einem geringen Selbstwert und einer schlechten personalen Identität verbunden sein.

c) Ist die dritte Position zu dominant, so kann dies mit einem mangelnden Zugang zu den eigenen Gefühlen, einem Mangel an Genussfähigkeit, an assoziiertem Erleben schöner Momente verbunden sein.

Mit NLP können Menschen lernen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und alle drei Positionen abwechselnd zu erleben. Das Ziel ist Flexibilität: die Fähigkeit, eine Kommunikationssituation mehrfach beschreiben und erleben zu können.

1) Ein verstärktes Erleben der ersten Position kann durch alle Assoziierungstechniken trainiert werden.

2) Die Anleitung zur zweiten Position ist a) die Imagination der gewünschten Person und b) zu tun, als ob man diese Person wäre. Manchmal ist es hilfreich, die zwei Prozessschritte bewusst zu trennen:

a) sich diese Person dissoziiert (z. B. in zwei Meter Abstand) vorzustellen und sich dabei auf typische Verhaltensmerkmale wie Körperhaltung, Bewegung, Gesten, die Art des Redens, die Art der Kleidung zu konzentrieren. Dabei genügen in vielen Fällen vage Eindrücke, eine Ahnung, das etwas so oder so sein könnte.

b) in diesen imaginierten Körper „hineinzugehen“: genau diese Körperhaltung einzunehmen, sich genauso zu bewegen, so zu reden oder sich das vorzustellen usw. Manche Personen stellen sich vor, sie würden in den Körper „hineinschlüpfen“ oder diesen Körper „wie einen Taucheranzug anziehen“. Dabei kann das so erfahrene Körpergefühl eigenartig sein (z.B. auch, wenn es sich um eine Person des anderen Geschlechts handelt).

3) Die dritte Position wird durch die Dissoziierungstechniken gefördert. Weil es viele Arten der dritten Position gibt, ist es oft hilfreich, in diese Position bewusst positive Eigenschaften hineinzugeben, z.B. die Vorstellung von einem kompetenten Schauspieldirektor, der die Performance seines Lieblingsschauspielers begutachtet, oder eine sachkundige Regisseurin, ein selbstbewusster Kinobesucher etc. Dabei kann es hilfreich sein, in der eigenen Körperhaltung die Dissoziierung zu betonen, indem man beispielsweise die Arme verschränkt oder sich zurücklehnt.

In jedem Fall soll mit jeder der drei Positionen eine klar erkennbare und deutlich unterscheidbare Physiologie verbunden sein. Oft sind kleine Veränderungen in der Körperhaltung geeignet, den Zugang zu einer der drei Positionen zu finden. Dies kann im Alltag nützlich sein. NLP-erfahrene Menschen können sich trainieren, im Alltag (z. B. bei Gesprächen) rasch die Positionen zu wechseln, und somit, ohne dass dies auffällt, für kurze Zeit die zweite oder die dritte Wahrnehmungsposition aktivieren. Die Informationen, die hier gewonnen werden, können in vielen Fällen hilfreich sein, schwierige Kommunikationssituationen zu bewältigen. Das Modell der drei Wahrnehmungspositionen kann sowohl direkt in einer Kommunikationssituation als auch für die Vor- und Nachbereitung wichtiger Situationen genützt werden.

 

Die typische Prozessanweisung für die Anwendung der einfachen Variante auf einen Kommunikationskonflikt geht über neun Schritte:

  • Das Thema und eine typische Szene festlegen und die Kommunikationspartner benennen: Wenn es sich um einen Konflikt handelt, ist auf eine wirkungsvolle Dissoziierung vom Konflikt zu achten. Meist werden die drei Positionen als Boden-Anker etabliert. Sind mehrere Personen an der Szene beteiligt, kann es nützlich sein, die zweite Position nach mehreren Personen zu unterteilen.
  • Die erste Position aktivieren: Typische Fragen dazu sind: „Wie geht es mir da?“, „Wie denke ich da über mich?“, „Wie denke ich da über die anderen Personen?“, „Wie denke ich über die Situation?“.
  • Dasselbe für alle zweiten Positionen.
  • Die dritte Position einnehmen und aktivieren: Die Szene mit den Augen eines neutralen und kompetenten Beobachters von außen betrachten, dem Dialog zwischen der ersten und allen zweiten Personen von außen zuhören usw. Die Interaktionen der ersten und der (oder den) zweiten Person(en) von außen analysieren. Typische Fragen sind: „Was machen die erste und zweite Person, dass immer wieder das Gleiche abläuft?“, „Welche Anker werden hier von wem gesetzt?“, „Wie reagieren die anderen darauf?“ Das Ziel ist ein besseres Verständnis des Systems und die Erkundung kalibrierter Schleifen zwischen allen Akteuren.
  • Aus der dritten Position das Ziel für die Kommunikationssituation festlegen und die fehlenden Ressourcen für die erste Person erkunden.
  • Eine oder mehrere Ressourcen (an einem neuen Ort am Boden) aktivieren und in die erste Position hineinbringen.
  • Die beiden letzten Schritte, falls erforderlich, auf alle anderen Personen in dieser Situation anwenden. (Bei schweren Konflikten besteht oft eine innere Hemmung dies zu tun. Warum soll ich meinem „Feind“ eine Ressource geben? Hier kann es hilfreich sein sich klar zu machen, dass es nicht um den „Feind“, sondern nur um mein Modell über den „Feind“ geht, und zu fragen, ob es für das gewählte Kommunikationsziel hilfreich sein kann, das eigene Modell über den „Feind“ zu verändern.)
  • Ein abschließender Check aus der ersten und/oder der dritten Position: „Wie wird die Szene jetzt innerlich wahrgenommen?“, „Was hat sich verändert?“
  • Future Pace.
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