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Spiegelneuronen

Der Tempel der tausend Spiegel:

„Es gab in Indien den Tempel der tausend Spiegel. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig. Eines Tages kam ein Hund und erklomm den Berg. Er stieg die Stufen des Tempels hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal der tausend Spiegel kam, sah er tausend Hunde. Er bekam Angst, sträubte das Nackenfell, klemmte den Schwanz zwischen die Beine, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und tausend Hunde sträubten das Nackenfell, klemmten die Schwänze zwischen die Beine, knurrten furchtbar und fletschten die Zähne. Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden bestehe. Einige Zeit später kam ein anderer Hund, der den Berg erklomm. Auch er stieg die Stufen hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal mit den tausend Spiegeln kam, sah auch er tausend andere Hunde. Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf. Dieser Hund verließ den Tempel mit der Überzeugung, dass die ganze Welt aus netten, freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohl gesonnen sind.“

 

Mit der Entdeckung der Spiegelnervenzellen (Spiegelneuronen) wurde es auf einmal möglich, diese Phänomene mithilfe der Neurobiologie wissenschaftlich zu erklären. Ohne Spiegelnervenzellen gäbe es keine Intuition oder Empathie. Wenn wir lachende Menschen sehen oder nur daran denken, wie sie lachen, ändert sich plötzlich und ganz unwillkürlich unsere Stimmung. An der Universität in Uppsala wurden unter der Leitung von Ulf Dimberg erstmals Resonanzphänomene wissenschaftlich untersucht. Einigen Testpersonen wurden auf einem Bildschirm Porträts von menschlichen Gesichtern gezeigt. Dabei wurden sie darauf hingewiesen, nicht auf diese zu reagieren. Jedes Bild wurde nur eine halbe Sekunde lang gezeigt. Dazwischen gab es jeweils eine kurze Pause. An das Gesicht der Testpersonen wurden hauchdünne Drähte angebracht, die auch kleinste Regungen der Gesichtsmuskulatur aufzeichneten. Nachdem die Diashow begann, konnten die Testpersonen durchaus eine neutrale Haltung einnehmen, da zu Beginn nur gefühlsneutrale Gesichter gezeigt wurden. Als dann plötzlich ein lachendes Gesicht auf dem Monitor auftrat, änderte sich blitzschnell und unwillkürlich die Gesichtsmuskulatur der Testperson. Bevor sie die neutrale Haltung bewusst wieder einnehmen konnten, spiegelten ihre Gesichtsmuskeln das lachende Gesicht ganz unbewusst wider. Dasselbe geschah bei ärgerlich verstimmten Gesichtern. Alle Testpersonen bemühten sich zwar, gefühlsneutral zu bleiben, da aber die Bilder nur kurz gezeigt wurden und jede Bewegung – auch wenn sie nur sehr kurz war – aufgezeichnet wurde, waren die Testpersonen nicht in der Lage, bewusst nicht zu reagieren. 500 Millisekunden sind so kurz, dass sie sofort ins Unbewusste gelangen. Diesen Vorgang nennt man subliminale Stimulation. Unbewusst wahrgenommene Eindrücke beeinflussen unser Handeln und unsere Gefühle blitzschnell. Ohne diese Fähigkeiten könnten wir nicht einmal gehen oder Auto fahren.

In der Hypnotherapie wird diese Tatsache benutzt, um das Bewusstsein zu umgehen und im Unbewussten hilfreiche Ressourcen anzuzapfen, um so zu einer Problemlösung zu gelangen.

 

„Einfach weiterfahren“

Der Facharzt und Hypnotherapeut Gunter Schmidt schilderte folgende therapeutische Situation: Eines Tages kam eine Frau in seine Praxis mit der Bitte, ihr Problem einfach „wegzumachen“. Sie habe gehört, dass mit Hypnose so etwas dauerhaft gelöst werden könne. Da sie von weit angereist war, sollte es schnell gehen. Nachdem er ihr erklärt hatte, dass, bevor er irgendetwas schnell „wegmachen“ könne, zuerst einmal gemeinsam herausgefunden werden müsse, was denn das Problem sei. Sie schilderte ihr Problem so: sie erzählte, dass sie verheiratet sei, Kinder habe und in einer Kleinstadt lebe. Das Problem war, dass sie außerhalb der Stadt nicht fähig war, mit dem Auto zu fahren. Die Erledigungen, die sie innerhalb der Stadt mit dem Auto bewältigte – wie die Kinder zur Schule zu bringen oder den Einkauf zu erledigen –, stellten kein Problem dar, doch sobald sie versuchte, aus der Stadt zu fahren, versage sie. Irgendetwas in ihr blockiere und sie müsse stehen bleiben. Als sich das hypnotherapeutische Gespräch vertieft hatte, fragte der Hypnotherapeut: „Was wäre, wenn Sie einfach weiterfahren würden?“ Schließlich könne sie es, die Kompetenz Autofahren sei vorhanden. Was würde also passieren, wenn sie weiterfahren würde? „Einfach so weiterfahren?“ fragte die Frau. „Ja – einfach so weiterfahren.“ „Wie jetzt, einfach so weiterfahren?“ erwiderte sie erneut.

„Ja, was würde dann geschehen?“ fragte der Therapeut. Da sagte die Frau ganz aufgeschlossen und voller Selbstbewusstsein: „Ich würde einfach weiterfahren und weiterfahren und weiterfahren und nie wieder zurückkommen!“. Das eigentliche Problem der Frau war nicht, außerhalb der Stadt die Fähigkeit zu verlieren, Auto fahren zu können, sondern bestand vielmehr darin, dass sie unbewusst den Wunsch hegte, ihrem Alltag zu entfliehen. An diesem Problem wurde in der Folge gearbeitet. Welche Folgen und Folgekosten hätte es für die Frau und vor allem für ihre Familie gehabt, wenn sie nun einfach so weitergefahren wäre?

Das Unbewusste schützt uns, wie das Beispiel aus der Praxis zeigt, vor Folgekosten. Was läuft aber in unserem Gehirn ab, wenn wir beobachten? Was läuft in unserem Gehirn ab, wenn wir uns Dinge nur vorstellen? Wusstest du, dass unser Unbewusstes 99% aller Denkvorgänge vollbringt und dabei noch sämtliche Körperaktivitäten regelt? Es ist aber auch dein Unbewusstes, dass dir gewisse Informationen aus der Außen- oder Innenwelt vorenthält: etwa 11 Millionen Bits pro Sekunde gelangen durch unseren visuellen Kanal in unser Gehirn. Nach Messungen können aber lediglich 40 Bits pro Sekunde vom Bewusstsein (beim „leisen Lesen“ ohne Störungen) rational verarbeitet werden. Das Verhältnis von unbewusster zu bewusster Sinnesverarbeitung liegt somit bei mindestens 200.000 zu 1 Bit/s. Wer also mit dem Unbewussten besser „kommunizieren“ kann, verschafft sich einen beachtlichen Wettbewerbsvorteil.

 

„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.

Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.

Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.

Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.

Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“

Worte aus dem Talmud

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